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29
Dezember
Reue.
Es kommt nicht selten vor, dass ich hier sitze. Vor meinem Bildschirm. Alles ist dunkel, die anderen schlafen. In solchen Momenten gibt es viel, von dem ich schreiben könnte, nur habe ich dafür bislang nicht das richtige Format gefunden. Ich denke, ein Blog könnte den Gedankenwelten meiner Nachts(ch)ichten gerecht werden. Deshalb sitze ich hier jetzt hier. Vor meinem Bildschirm und stelle fest, dass das mit dem Bloggen irgendwie gar nicht so einfach ist. Ich bin ein bisschen unschlüssig, wie ich anfangen soll.
Dass es erst Nacht werden muss, bevor ich auf diese Art schreiben und überhaupt denken kann, ist mein Zugeständnis an meine Männlichkeit, die ich in meinem Spargeltarzen-Körper immer noch suche, aber irgendwo muss sie sein. Tagsüber kann ich mich der Illusion hingeben, sie zur Schau zu stellen und nachts schreibe ich dann eben solche Blogs. Womit ich anfange, habe ich lange überlegt, aber nachdem ich am 17.12. mit Freunden im Frankfurter Nachtleben unterwegs war, ergibt sich das Thema meines ersten Blogs eigentlich ganz automatisch. Ursprünglich war unsere Abendgestaltung ein wenig anders, aber nachdem wir das Auto im Theater-Parkhaus abgestellt und am traurig kleinen Teil der politisch Aktiven unserer Generation im Occupy-Frankfurt-Camp vorbei gegangen waren, wurde unsere Planung davon auf den Kopf gestellt, dass die eigentlich angedachte Location eine elend lange Schlange am Eingang hatte. Daraufhin ging unsere Gesellschaft ins Velvet. Es war noch dermaßen früh, dass bloß eine Fastkomatöse einsam ihre Kreise zog und schwankte. Der erste von uns hatte trotzdem schon nach runden 15 Minuten erste Körperflüssigkeiten ausgetauscht. Übrig blieben wir anderen drei, die sich unter die langsam steigende Zahl der tanzenden Menschen mischten. Um uns wurde es voller. Ich ließ den Blick schweifen und sah sie. Langes Haar. Hell, würde ich sagen, vielleicht rotblond, schlicht gekleidet, ein dunkles Oberteil um die Schultern. Ich weiß nicht, wie oft sich unsere Blicke trafen, auf jeden Fall nicht ansatzweise oft genug, dass man genug von ihren wunderschön tiefen großen, runden Augen hätte bekommen können. Es brauchte nicht mehr als einen Moment, damit ich erkannte, wofür ich heute all meinen Mut zu sammeln hatte. Sie war nicht einfach irgendein schöner Mensch, von denen gab es wie immer genug, sie war nicht extravagant wie ihre Freundin mit einer riesigen Frisur aus blonden Dreads, sie hatte die Aura von Natürlichkeit behalten in der künstlichen Atmosphäre des Frankfurter Nachtlebens. Und während die Minuten vergingen, die Bässe wummerten, schaute ich sie an. So oft es ging, ohne als Freak gelten zu müssen. Die Art, sich zu bewegen, ihr Outfit und eben ihre Augen - dieses wunderschön ungekünstelte Wesen war nicht einfach hübsch, diese Frau gehörte zur beklagenswert kleinen Zahl der allertollsten Frauen, sie war etwas ganz seltenes: Eine natürliche Schönheit. Und es war ein Ausdruck in ihren Augen. Ohne ein Wort mit ihr gewechselt zu haben, hatte ich das Gefühl, es mit einem netten Menschen zu tun zu haben. So gut es im schummrigen Licht der Stroboskopblitze ging, behielt ich sie im Auge und von Sekunde zu Sekunde wurde mir eins klarer: Ich würde es bereuen, sie nicht anzusprechen. Mein Puls ging schneller. Ich war noch nie besonders extrovertiert. Wir bewegten uns zur Musik und ich warf ihr noch immer schüchterne Blicke nach. Die Minuten vergingen schneller. Und dann beschlossen meine Begleiter den Aufbruch. Ich hätte mich an diesem Abend gerne von der Putzfrau rauskehren lassen, während ich in Sichtweite zu ihr bin, aber das hätte nichts geändert. Gerade ihre natürliche Art hielt mich davon ab, in irgendeiner Art aktiv zu werden. Ihre unfassbare Aura gefiel mir, dass ich alleine deshalb nichts tun konnte, weil ich Angst hatte, alles zu versauen. Wir gingen also Richtung Ausgang. Auf der Treppe kam sie mir entgegen, mein Herz pochte und dann stand ich draußen. Ich kenne nicht ihren Namen, ich weiß nichts von ihr. Aber alleine ihre Augen, ihre Art mit ihnen umherzublicken, jagen mir jetzt noch einen Schauer über den Rücken. Ich kann nicht sagen, dass ich es jemals derart verflucht habe, so verdammt schüchtern zu sein. Jede Nacht wird mir klarer, was es für ein Fehler war, sie nicht einfach nach ihrem Namen zu fragen. Und jeden Morgen hoffe ich, dass es nicht so schlimm war, es nicht getan zu haben. Dann gehen wieder die Lichter aus, man legt sich schlafen und ich ärgere mich, dass ich nicht wenigstens einen Namen habe für diese Frau, die mich so tief berührt hat, ohne mich berührt zu haben.
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